Seit 1980 erkranken immer mehr Menschen auf der ganzen Welt an Asthma. Erst in den letzten zehn Jahren kam es (etwa laut Daten des Robert Koch-Instituts) zu einer Stabilisierung auf hohem Niveau. Wir verraten, warum die bisher gängige Erklärung zu dieser Entwicklung möglicherweise unzutreffend war, und in welche Richtung die Erforschung von Asthma heute geht.
Die Hygienehypothese
Lange Zeit waren sich Forscher:innen sicher, warum die Asthma-Fälle in den letzten 35 Jahren so stark angestiegen sind: Unsere Umwelt ist demnach zu sauber für unser Immunsystem.
Die sogenannte Hygienehypothese besagt, dass die Exposition gegenüber den Erregern von Infektionen im frühen Kindesalter ein nötiges Training für das Immunsystem darstellt, damit es sich gut entwickeln kann.
Bei zu guten hygienischen Bedingungen hat das Immunsystem keine Gelegenheit zum Trainieren, sodass der Körper aus noch ungeklärten Gründen auf harmlose Partikel wie Staub und Pollen wie auf eine tödliche Bedrohung reagiert. Die daraus resultierende allergische Reaktion führt zu den klassischen Symptomen von Asthma wie eine chronische Entzündung oder Schwellung der Atemwege und akute Krämpfe, die sogar lebensbedrohend sein können.
Was spricht gegen die Hygienehypothese?
Einerseits stützen viele Daten die Hygienehypothese, andererseits sind die Asthma-Raten auch in städtischen Gebieten, die nicht besonders sauber sind, in die Höhe geschossen.
Außerdem setzte der große Anstieg der Asthma-Raten in den Industrieländern erst in den 1980er Jahren ein, also lange, nachdem sich die allgemeinen sanitären Bedingungen verbessert hatten. Es gibt Hinweise darauf, dass Atemwegsinfektionen in der frühen Kindheit nicht etwa dazu beitragen, Kinder vor Asthma zu schützen, sondern tatsächlich ein Risikofaktor dafür sind.
Der Zusammenbruch der Hygienehypothese als allgemeine Erklärung für den starken Anstieg der Asthma-Raten hat Ärztinnen und Ärzte, sowie andere Wissenschaftler:innen zu einer neuen Erkenntnis geführt:
Asthma ist eine komplexere Erkrankung, als Forscher:innen zunächst angenommen haben.
Tatsächlich könnte es sich nicht einmal um eine einzelne und klar definierte Krankheit handeln. Man geht momentan davon aus, dass nur die Hälfte der Asthmafälle allergisch bedingt ist.
Neue Erkenntnisse führen vielleicht zu neuen Behandlungen
Die Auswirkungen dieser Erkenntnisse auf die Prävention und Behandlung von Asthma sind erheblich. Die Erkrankung wird momentan mit „Controllern“ zur Vorbeugung und „Relievern“ zur schnellen Linderung der Symptome behandelt. Es gibt auch Medikamente (wie Asthmaspray), die diese Funktionen kombinieren. Denken Sie daran, dass es unmöglich ist, ein Asthmaspray ohne Rezept zu bekommen. Daher müssen Sie zuerst Ihren Arzt konsultieren.
Wenn es zutrifft, dass Allergien bei vielen Menschen keine grundlegende Ursache für Asthma sind, dann kann eine alternative Kombination zur Behandlungen solcher Patienten wirksamer sein. Um die Ursachen der Atemwegserkrankung zu bekämpfen und die wachsende Zahl der Betroffenen (zuletzt waren das mindestens 300 Millionen Menschen weltweit) richtig zu behandeln, müssen sich Wissenschaftler:innen mit der Entstehung und Beschaffenheit der verschiedenen Formen auseinandersetzen.
Andere Erklärungen zu möglichen Ursachen
Was kann neben der Hygienehypothese den Anstieg der Asthma-Raten erklären? Andere vermutete Ursachen sind:
- eine zunehmende sitzende Lebensweise, die die Lungenfunktion beeinträchtigen könnte, und
- die Zunahme von Übergewicht, die Entzündungen im ganzen Körper verstärkt.
Eine Überarbeitung der Hygienehypothese, die sich auf Veränderungen der normalen und nicht krankheitsverursachenden Bakterien konzentriert, die im und auf unserem Körper (im Darm oder in den Atemwegen oder auf der Haut) leben, ist vielversprechend.
Studien haben gezeigt, dass Kinder, die auf Bauernhöfen leben, wo Kühe oder Schweine aufgezogen werden, und Rohmilch trinken, fast nie Asthma oder Allergien bekommen.
Vermutlich liegt das daran, dass diese Kinder unpasteurisierte Milch getrunken und mit Vieh zu tun hatten. Deshalb haben sie verschiedene Stämme von Bakterien in ihren Atemwegen, die eine andere Schutzwirkung entfalten können als diejenigen, die bei Stadtkindern gefunden werden.
Kein endgültiges Ergebnis der Frage nach den Ursachen
Zurück zur Frage vom Beginn: Wie konnte die Anzahl der Asthma-Fälle in den Industrieländern seit den 1980er Jahren so stark zunehmen und sich um 2010 stabilisieren? Die führenden Forscher:innen in diesem Bereich haben noch keine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden. Insbesondere Prof. Neil Pearce von der London School of Hygiene and Tropical Medicine fragt sich, ob die Modernisierung im Allgemeinen oder Besonderheiten der Lebensweise in westlichen Ländern dabei die wichtigsten Faktoren sind.